Ständige Erreichbarkeit hat sich zum Dauerthema für Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen entwickelt. Das Smartphone einfach mal ausschalten? Für längere Zeit keine E-Mails sichten? Das ist für viele unmöglich geworden, in Zeiten des Homeoffice mehr denn je! Schon gibt es erste Forderungen, auch in Deutschland für Arbeitnehmer ein Recht auf Nichterreichbarkeit zu schaffen. Ein Projekt der Universität Freiburg zeigt, wie es auch ohne gesetzliche Regelungen funktionieren kann.
Ständige Erreichbarkeit wird zunehmend zum Problem
Anrufe vom Chef oder von der Chefin nach Feierabend, Nachrichten aus der beruflichen WhatsApp-Gruppe am Wochenende und ein nicht abreißender Strom an E-Mails über die Firmenadresse: Spätestens mit dem Siegeszug der Smartphones ist das zur Normalität geworden. Die meisten von uns nutzen die mobilen Geräte sowohl im Job als auch privat, haben sie also mehr oder weniger immer dabei. Da fällt es dann naturgemäß schwer, sich dem Nachrichtenstrom zu entziehen.
Das hat allerdings Folgen, zeigt das Projekt, das vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) im Rahmen der Initiative Neue Qualität der Arbeit (INQA) und fachlich begleitet von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) gefördert wurde. Die Grenzen zwischen dem Berufsleben und dem Privatleben verschwimmen zunehmend, Experten sprechen von einer erweiterten arbeitsbezogenen Erreichbarkeit. Das hat Folgen. Viele nehmen die Arbeit gedanklich mit nach Hause, können nicht mehr abschalten und erkranken im schlimmsten Fall sogar an einem Burnout.
Wie ist Ihre Einstellung zur ständigen Erreichbarkeit?
Allerdings liegt das Problem oft nicht nur am Chef oder der Chefin oder den Kollegen allein. Jeder und jede ist selbst gefordert, sein Verhältnis zur ständigen Erreichbarkeit zu hinterfragen. Oft entsteht der Eindruck, der Arbeitnehmer habe selbst kein Interesse daran, einmal völlig abzuschalten. Da werden nach Feierabend, am Wochenende und selbst im Urlaub ständig E-Mails gecheckt oder Anrufe getätigt und selbstverständlich werden Anrufe der Vorgesetzten noch im hintersten Winkel der Erde angenommen.
Dahinter kann sich der Wunsch verbergen, sich unverzichtbar zu fühlen. „Wenn ich nicht da bin, läuft der Laden nicht!“ — das ist für viele Menschen durchaus ein befriedigendes Gefühl. Der Wunsch, alles immer unter eigener Kontrolle behalten zu wollen, verhindert, dass Informationen geteilt und Aufgaben delegiert werden.
In solchen Fällen ist (Selbst-)Erkenntnis der erste Schritt zur Besserung. Verbessern Sie die Kommunikation mit Ihren Kollegen und Kolleginnen, damit auch sie Fragen zum Beispiel zum aktuellen Projekt beantworten können. Und machen Sie sich bewusst, dass auch Sie Auszeiten benötigen, in denen Sie nicht gestört werden, um auch künftig mit ganzer Kraft für das Unternehmen arbeiten zu können.
Absprachen helfen gegen die ständige Erreichbarkeit
In vielen Betrieben wird mittlerweile zentral gegengesteuert. So gibt es in immer mehr Unternehmen Betriebsvereinbarungen, die die Nutzung der Diensthandys außerhalb der Arbeitszeiten regeln. Anderswo werden die Smartphones einfach ausgeschaltet — was bestimmt nicht bei jedem auf Gegenliebe stößt.
Was aber, wenn es im Betrieb keine entsprechenden Regelungen gibt? Dann gilt: Reden hilft! Unter welchen Bedingungen sind Anrufe nach Feierabend noch in Ordnung? Es versteht sich, dass Sie Ihrem Chef oder Ihrer Chefin in Notfällen zur Seite springen, auch wenn Sie eigentlich schon zu Hause sind. Die Frage ist also, was als Notfall gilt. Die Suche nach einem Dokument in der Ablage gehört sicher nicht dazu. Wenn Ihr Chef oder Ihre Chefin Sie wegen solcher Kleinigkeiten häufiger anruft, sind ein paar klare Worte angesagt. Und vielleicht eine neue, übersichtlichere Ordnung.
Untersuchungen haben ergeben, dass vor allem unerwartete Anfragen, die eine sofortige Reaktion erfordern, Stress auslösen. Vor allem diese Störungen sollten Sie ausschalten. Setzen Sie sich also mit Ihrem Chef oder Ihrer Chefin, Ihren Kollegen und Kolleginnen zusammen und treffen Sie Absprachen:
- Wer ist bis zu welchem Zeitpunkt am Arbeitsplatz erreichbar?
- Wer darf unter welchen Voraussetzungen danach noch stören? Gibt es eine Regelung, auf welche Anfragen noch sofort reagiert werden muss — und auf welche nicht?
- Wie werden solche spontanen Einsätze vergütet? Gelten sie als Überstunden? Dürfen entsprechende Zeiten dem Arbeitszeitkonto gutgeschrieben werden? Oder wird ein solcher Einsatz etwa einfach erwartet, ohne dass es einen Gegenleistung gibt?
- Brauchen Sie einen Notfalldienst? Wenn ja, in welchem Turnus ist welcher Kollege oder welche Kollegin dran, um auf Notfälle zu reagieren?
Schalten Sie das Handy ab
Wenn es Ihnen schwerfällt, das Diensthandy aus der Hand zu legen, können Sie sich vielleicht selbst ein wenig austricksen: Nutzen Sie die technischen Möglichkeiten, die Ihr Smartphone Ihnen bietet, um die ständige Erreichbarkeit zu verhindern:
- Am einfachsten ist es, das Handy einfach abzuschalten oder zumindest stumm zu schalten. In den Einstellungen können Sie festlegen, welche Anrufer Sie dennoch erreichen können.
- Wenn Sie Ihr Handy nicht komplett ausschalten wollen, können Sie bestimmen, welche Apps Sie stören dürfen und welche nicht. Damit können Kollegen in Notfällen Sie zwar beispielsweise noch anrufen, aber Sie erhalten keine E-Mails und WhatsApp-Nachtrichten mehr.
- Ab einem bestimmten Zeitpunkt sollte das Handy grundsätzlich stumm sein. Dafür können Sie Auszeiten festlegen, zu denen das Gerät in eine Art Schlummerzustand geht. So kann es eine ruhige Nacht nicht stören. Auch hier können Sie festlegen, welche Apps Sie dennoch erreichen.
Ergebnisse aus der Studie können Sie hier herunterladen. Unter der gleichen Webseite finden Sie zudem Material, um unternehmensintern Umfragen und Workshops durchzuführen.
Abb.: cirquedesprit-AdobeStock
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